Unser Dorf Rixfeld
 

Die Hausschlachtung oder der „Stechbraten"


Die Hausschlachtung war neben harter Arbeit, auch ein Grund zum Feiern. Dabei wurden viele fleißige Hände gebraucht. Verwandte und Freunde lud man zum „Stechbraten“ ein.

Bei einer Hausschlachtung machte man nur Dauerwurst, die das ganze Jahr über reichen musste. Man schlachtete im Allgemeinen zweimal. Ein erstes Mal im Herbst, nachdem die Arbeit auf dem Feld abgeschlossen war, meistens jedoch vor der Kirmes. Die Hauptschlacht, oder der „Stechbraten“, war in der Regel in den Monaten Januar, Februar, manchmal noch Anfang März.

Neben seiner Landwirtschaft betrieb ein Hausmetzger sein Handwerk in den Wintermonaten. Nicht selten hatte sich der Sohn die Fähigkeit des Schlachtens vom Vater abgeschaut und führte die Tradition weiter. Die Gerätschaften Brühtrog, Dreibock, (früher ein Hängeholz), „Schrae“ (Schrein), die Schellen, Wursttrog, Wurstbrett, Fleischwolf, Stopfmaschine und Schaumlöffel mussten bei ihm geholt werden. Metzger, die bei uns im Haus geschlachtet haben, waren Johannes Schnegelberger, später sein Sohn Helmut und nicht zuletzt Rudolf Jöckel.



Der Tag begann früh. Im Wurstkessel (Waschkessel) war das Wasser bereits heiß gemacht. Der Metzger überprüfte als erstes die Temperatur. Befand er diese für gut, ging es in den Stall. Dort wurde das Schwein an einem der Hinterbeine mit einem Seil festgemacht und ruhig hinausgeführt. Alles geschah ohne Hektik, man wollte die Tiere nicht unnötig aufregen. Im Hof band man das Schwein gut fest.                                                                                                                                     

In früheren Jahren betäubte man die Tiere mit einem kräftigen Schlag auf die Stirn (Holzknüppel oder Axt) und durch einen Stich in die Halsschlagader ließ man es ausbluten. Ein Teil des Blutes wurde in einer Schüssel aufgefangen und von der Hausfrau kräftig gerührt, damit es nicht klumpen (gerinnen) konnte. Dann stellte man es kühl, um es später für Blutwurst oder einen Blutkuchen verwenden zu können. (Dieses tierquälerische Töten verbot man später und der Metzger benutzte nur noch einen Bolzenschussapparat.)

Das Schwein rollte man jetzt in den Brühtrog, so dass es auf allen Vieren zum Liegen kam und der Metzger übergoss es behutsam mit dem zubereiteten heißen Wasser, das in Eimern aus dem Keller geholt wurde. Mit den Schellen schabte man die gelöste Haut und die Borsten ab, schüttete das Wasser aus dem Trog und hob das Tier im Trog liegend auf den „Schrae“.  Mit Messern entfernte man die letzten Borsten bis der Speck ganz glatt war, zog dem Schwein die Klauen aus und hängte es an den freigelegten Achillessehnen der Hinterläufe zum Aufbrechen an den Dreibock. Hier wurde es halbiert und die Eingeweide entnommen. Die Innereien, Herz, Leber, Lunge, hängte man zu den beiden Hälften an den Bock. Zwischendurch beschäftigte sich der Metzger mit den Därmen, säuberte sie und wendete sie auf links.

Der Fleischbeschauer, der tags zuvor eine Lebendbeschau vorgenommen hatte, kam erneut und schnitt kleine Fleischbröckchen von verschiedenen Stellen ab und untersuchte einzelne Muskelfasern unter dem Mikroskop auf Trichinen. War das Ergebnis in Ordnung, stempelte er das Tier an verschiedenen Stellen. Jetzt   konnte mit dem Zerlegen des Tieres begonnen werden.

Die Schweinehälften wurden ins Haus getragen und auf dem Wurstbrett zerlegt. Als erstes nahm man einen kleinen Teil des Fleisches, drehte es durch den Wolf zu Hackfleisch, damit die Frauen in der Küche anfangen konnten Schlachtklopse für das Frühstück zu braten. Für die einzelnen Wurstarten sortierte man das Fleisch in verschiedene Schüsseln.

Was früher in mühevoller Handarbeit geleistet wurde, erledigten später die Maschinen. Bis der Fleischwolf zum Einsatz kam standen die Männer noch um einen großen Holzblock und hackten mit Schlachtermesser das Fleisch für die Wurst in ganz kleine Stückchen.


Alles, was für die Kochwurst (Schwartenmagen, Blut- und Leberwurst), benötigt wurde, kam in den Kessel, die Schweinskopfhälften, die ausgebeinten Knochen, sowie die Innereien und in einem Netz die Schwarten. Um dem Ganzen den besonderen Geschmack zu geben wurden Zwiebeln, Lorbeerblätter, Nelken und Wacholderbeeren mitgekocht.

Am späten Vormittag wurde gefrühstückt: Schlachtklopse mit Zwiebelsoße und frisches Schweinemett. Zum Nachmittag gab es Hefekuchen (meist Matte- und Ribbelkuchen) und Kaffee.


Nach der Mahlzeit ging es ans Wurstmachen. Die Rohwurst kam eigentlich zuerst dran, dann die Kochwurst. Bei uns wurde das Ganze umgekehrt gemacht. Dadurch konnte Großvater früher mit dem Kochen beginnen, damit es für ihn abends nicht zu spät wurde. Nachteil war, alle Utensilien mussten zwischendurch noch einmal von den Frauen gespült werden, während die anderen in Ruhe ihren Kuchen aßen.

Das Fleisch für die Rohwurst wurde zur Seite gestellt, um zunächst die Kochwurst zu fertigen.

Nachdem die Speckseiten gekocht waren, mussten die Männer Grieben schneiden, die vor allem für die Blutwurst notwendig waren. Ein Teil des Specks legte man vor dem Kochen bei Seite, um ihn später mitzuräuchern. In den kalten Wintermonaten war er ein vorzüglicher Kalorienspender bei der meist schweren Arbeit.

Wichtig waren die Gewürze; jeder Metzger hatte seine eigene Rezeptur.

Grundwürze bei allen Sorten waren Pfeffer und Salz. Der Teig für die Blutwurst bestand aus allem verwertbaren, was bei einer Schlachtung anfiel, abgelöstes Fleisch von den Knochen, Innereien und nicht zuletzt das morgens aufgefangene Blut, sowie die geschnittenen Grieben. Mit der Zugabe von Majoran und Muskat verfeinerte man den Geschmack.

Basis für die Leberwurst war das Gleiche wie bei der Blutwurst. Ihren unverwechselbaren Geschmack bekam sie durch das hinzufügen der gemahlenen Leber, sowie Muskatnuss und durchgemahlene Zwiebeln.

Schwartenmagen stand bei uns in der Beliebtheitsskala ganz oben. Das bereitgestellte Fleisch wurde etwas gröber durchgemahlen. An zusätzlicher Würze verwendete man Muskat und Knoblauch. Gefüllt wurde der Magen sowie Schweineblasen. In früherer Zeit musste der Wurstteig mit Trichtern in Därme gefüllt werden. Erst mit der Erfindung der sogenannten Stopfmaschine gab es eine weitere Erleichterung für Metzger und Helfer.

Bei der Rohwurst kam zunächst die Cervelats Wurst an die Reihe. Gewürzt wurde mit Pfeffer und Salz. Den fertigen Teig füllte man in Enddärme, später in sogenannte Hukkis, (ein speziell für Rohwurst gefertigter Kunstdarm) oder wie es im Nordhessischen heißt, die rote Stracke. Gerne gegessen wurde auch roher Schwartenmagen.

Obwohl ein Armeleuteessen, waren die beiden jetzt beschriebenen Wurstsorten, was Besonderes, die Kartoffelwurst in unserer Region eine Spezialität. Dem Wurstteig fügte man gemahlene, gekochte Kartoffeln hinzu. In dünne Därme gefüllt, geräuchert und getrocknet war sie eine Delikatesse. Auch gebraten war sie ein Leckerbissen. ((Seit fünf Generationen gibt es ibis heuten in unserem Haus zu Heiligabend Kartoffelsalat mit Kartoffelwurst). Bei der Krautwurst war es ähnlich. Gleiche Würzung aber mit durchgemahlenem abgekochtem Weißkraut.

Und nicht zuletzt die Schmalz- oder Fetthaut. Schweineschmalz oder wie es offiziell heißt: "Flomen ist ein Fettgewebe, das zwischen Bauchfell und innerer Bauchmuskulatur liegt. Im Hausgebrauch Blätterfett genannt. Das Blätterfett wurde auf Kuchenbleche ausgebreitet und abkühlen lassen.  Danach schnitt man aus der festen Faszie zwei viereckige Stücke heraus und löste sie von dem übrigen Fett. Die pergamentartigen Blätter nähte die Hausfrau an zwei Seiten zusammen, um sie mit Wurstteig zu befüllen.


Nach getaner Arbeit bereitete man das Abendessen vor. Oft kamen noch Verwandte aus dem Dorf dazu. Es gab Wurstsuppe, Koch- und Wellfleisch und „Hochrecksknoche“ (das sind ausgebeinte, portionierte Wirbelknochen aus dem Brustbereich, natürlich noch mit einer Portion Fleisch daran). Ein Genuss für die Kinder waren die gekochten Nierchen. Das alles wurde mit Kartoffeln und Sauerkraut, das sogenannte Schlachtkraut, serviert. Wer wollte konnte noch ein zwei Bierchen trinken, aber zu keiner Mahlzeit durfte der traditionelle Schlachtschnaps fehlen; eine spezielle Mischung aus Kümmelschnaps, Hamburger Bittern und einem Schuss Kakau mit Nuss, einem süßlichen Likör. (So das Originalrezept von Luise Jöckel.) Die Stimmung war meist ausgelassen und der Metzger erzählte seine Anekdoten und was es sonst noch so alles aus der Umgebung zu berichten gab. Nicht selten platzte in die Stechbratenrunde zwei, drei verkleidete Gestalten, tanzten um die Gäste herum und sagten ihr Verslein auf: ich hab´ gehört ihr habt geschlacht´ und habt sooolange Würscht gemacht, gebt mir eine von den Langen und die Kurzen lasset hangen.

Die Tradition der Fleischmännchen nahm seinen Anfang in der Spinnstube. Ein paar der Anwesenden zogen zum Haus, wo frisch geschlachtet worden war und baten um eine kleine Gabe. Nachdem ihnen einige Würste in den mitgebrachten Korb gelegt worden waren, zogen sie singend von dannen. Gemeinsam mit den anderen wurde die Wurst gebraten und in fröhlicher Runde verzehrt.

Für die Kinder war der Stechbraten eine willkommene Abwechslung vom Alltag. Freunde aus der Nachbarschaft wurden dazu eingeladen und man spielte ausgelassen. Ein besonderer Brauch war das „MoauIribbeln“. Wo immer ein Kind, das auf dem Stechbraten war, auftauchte, wurde dieses Ritual vollzogen. In der Schule schnappten sich meist ältere Mitschüler ein Kind und rieben ihm mit der flachen Hand kräftig über den Mund; als Sinnbild für das Abwischen von Fett, das von den Mahlzeiten hängengeblieben war. Nach dem Abendessen verzog sich die junge Schar in ein Nebenzimmer. Pfänderspiele, Faules Ei und Blindekuh sorgten für gute Unterhaltung.

Bei uns im Haus kam das Wurstkochen meist der älteren Generation zu. Großvater stand dann am Kessel, achtete auf das Holzfeuer, damit die Wurst gleichmäßig vor sich hin köchelte und vor allem nicht aufplatzte. Mit einem großen Schaumlöffel schöpfte er das Wurstfett ab, um es später als Brotaufstrich mit einer Prise Salz oder zum „Gräppelbacken“ verwenden zu können.

Die Kochwurst breitete man anschließend zum Abkühlen auf große runde Backbleche aus und wendete sie oft noch einmal, damit sie in Form blieb. Am nächsten Tag hängte man sie in den Rauch, um zu verhindern, dass sie sauer wurde. Die Rohwurst blieb noch einige Tage (in manchen Gegenden auch drei bis vier Wochen oder länger) zum Trocknen hängen. Danach kam sie ebenfalls in die Räucherkammer. Diese war bei uns eine abgemauerte Kammer, etwa ein auf zwei Meter in Stockwerkshöhe, mit einem Belüftungsloch zum Schornstein hin und einer Eisentür für den Brandschutz. Auf dem Boden der Kammer zündete man Buchensägemehl an, das langsam vor sich hin glomm und so die Wurst haltbar machte.  Der Rauch durfte nicht zu heiß werden. Die Räucherzeit betrug für die Cervelat Wurst cá 2 bis 3 Tage. Andere Wurstsorten benötigten weniger.

Am Tag nach dem Schlachten wurden früher ein Teil des Fleisches, Speck und Schinken in einem Holzzuber eingesalzen und nach zwei Tagen mit „Lack“ übergossen. (Diese bestand pro Zentner Fleisch aus etwa 24 Liter abgekochtem Wasser, 7 Pfund Salz, einem Viertel Pfund Zucker und einer Messerspitze Salpeter). Nach etwa 4 bis 6 Wochen wurden die Teile herausgenommen, abgetrocknet und anschließend zum Teil geräuchert. (Diese Methode der Haltbarmachung verlor im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung.) Wurst und Fleisch kochte man in Weißblechdosen oder Einweckgläsern ein, die mehrfach verwendet werden konnten.

Schon am Abend begannen für die Hausfrau und ihren Helferinnen das große Saubermachen und Aufräumen, das noch bis in den nächsten Tag ging. Nebenbei verteilte man die Wurstsuppe in der Nachbarschaft. Für jedes Kind der Familie legte man ein Schlachtwürstchen dazu.